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EuGH: Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Marke



EuGH: Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Marke

Darf in einer Widerklage gegen eine Marke der Streitgegenstand von Waren und Dienstleistungen weiter gefasst sein als in der zugehörigen Verletzungsklage? Mit einem klaren „Ja“, hat der EuGH diese Frage entschieden im Markenstreit um die Europäische Wortmarke Multiselect.

Rechtsprechung zur Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit


Diese Entscheidung ist nicht wirklich überraschend. Der EuGH stützte sich vielmehr auf vorangegangene Rechtsprechung, vor allem aus der erst kürzlich ergangenen EuGH Entscheidung Gemeinde Bodman-Ludwigshafen (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C 256/21). Darin hatte der EuGH entschieden, dass ein nationales Gericht über eine Widerklage auf die Erklärung der Nichtigkeit einer Marke entscheiden muss, selbst wenn die Verletzungsklage bereits zurückgenommen wurde.

Es wurde dabei festgestellt, dass unter dem nicht näher definierten Begriff „Widerklage“ in der EUMV (Europäische Markenverordnung, die EU Verordnung 2017/1001) grundsätzlich eine Gegenklage zu verstehen ist, die der Beklagte in einem vom Kläger gegen ihn betriebenen Verfahren vor demselben Gericht erhebt, es sich aber im Übrigen um einen unabhängigen Antrag handelt.

Die ist allgemeiner Konsens auch nach früherer Rechtsprechung (z. B. EuGH Urteil vom 12. Oktober 2016, Kostanjevec, C 185/15). Obwohl die Widerklage im Rahmen eines mittels eines anderen Rechtsbehelfs eingeleiteten Verfahrens eingelegt wird, handelt es sich laut Rechtsprechung bei ihr um einen gesonderten und eigenständigen Antrag, dessen prozessuale Behandlung von der Klage unabhängig ist.

Widerklage ist keine bloße Verteidigung


Die Widerklage unterscheidet sich von einem bloßen Verteidigungsmittel, erklärte der EuGH jetzt in der Entscheidung Multiselect (Urteil vom 8. Juni 2023, C 654/21). Die Widerklage ziele vielmehr darauf ab, den Streitgegenstand zu erweitern und die Anerkennung eines von der Klage gesonderten und selbständigen Anspruchs zu erreichen.

Der EuGH verwies in diesem Kontext auf den Grundsatz der Prozessökonomie. Wenn eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit nur zur teilweisen Nichtigerklärung der Marke führen könnte, auf die sich nämlich das betreffende Verletzungsverfahren stützt, wären womöglich absolute Nichtigkeitsgründe (siehe Art. 59 der EUMV („Absolute Nichtigkeitsgründe“, u. a. über die geografische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen)) in der Widerklage nicht anwendbar, wenn diese nicht Gegenstand der Verletzungsklage wären.
Das aber widerspreche jeder Prozessökonomie. Und außerdem schützen die absoluten Eintragungshindernisse allgemeine Interessen und nicht nur die wirtschaftlichen Interessen des Beklagten bei der Verteidigung gegen eine Verletzungsklage, erläuterte das Gericht.

Zudem kann eine Widerklage auf jeden der in der EUMV genannten Nichtigkeits- oder Verfallsgründe gestützt werden. Und diese Gründe haben dieselbe Tragweite, unabhängig davon, ob sie in einem Nichtigkeits-/Verfallsantrag vor dem EUIPO oder in einer Widerklage vor einem nationalen Gericht geltend gemacht werden (Art. 59 Abs. 1 Buchst. a).

Widerklage: Voraussetzung und Beschränkung


Zwar ist Voraussetzung für die Erhebung einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit, dass sie durch eine natürliche oder juristische Person erhoben wird, und zwar im Rahmen eines Verletzungsverfahrens.

Dies aber ist die einzige Beschränkung. Der EuGH entschied als Leitsatzentscheidung im vorliegenden Fall Multiselect, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Marke alle Rechte des Markeninhabers betreffen kann, ohne eine Vorgabe oder Begrenzung durch die zugehörige Verletzungsklage.

Der Leitsatz lautet:
„Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke sämtliche Rechte betreffen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet, ohne dass die Widerklage in ihrem Gegenstand durch den Rahmen begrenzt wird, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wird.“

Der EuGH verwies zudem, dass Entscheidungen über die Gültigkeit einer Unionsmarke stets in der gesamten Union gelten (das sogenannte Prinzip der Wirkung in der gesamten Union erga omnes) Dieses Prinzip beruhe auf dem 32. Erwägungsgrund der Markenverordnung, erläuterte das Gericht. Und es gilt für alle Entscheidungen sowohl vom EUIPO als auch von den Unionsmarkengerichten (siehe auch Urteil vom 19. Oktober 2017, Raimund, C 425/16).

Zwar ist das EUIPO für die Eintragung der Unionsmarken und für Widersprüche alleinig zuständig. Doch für die Erklärung der Nichtigkeit oder des Verfalls einer Unionsmarke (gemäß den Art. 63 und 124 EUMV) sind die Unionsmarkengerichten und das EUIPO gemeinsam zuständig.

Mehr noch, die Zuständigkeiten des EUIPO und der nationalen Gerichte sind miteinander verzahnt und werden nach dem Grundsatz des Vorrangs der angerufenen Stelle ausgeübt. Wenn also eine Widerklage auf Nichtigkeit oder Verfall zuerst vor einem nationalen Gericht erhoben wird, muss das EUIPO, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, ein erst später eingeleitetes identisches Verfahren aussetzen und umgekehrt (vgl. Art. 132 EUMV).

Nach Ansicht des Gerichts spricht diese verzahnte Zuständigkeit und ebenso das Prinzip erga omnes dafür, dass sich eine Widerklage auf alle Markenrechte an der Unionsmarke des Klägers erstrecken kann. Der Streitgegenstand von Waren und Dienstleistungen kann in der Widerklage daher weiter gefasst sein als in der zugehörigen Verletzungsklage, und im Sinne der Prozessökonomie sollte er das sogar.

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